Taufstein

Das rätselhafte Verschwinden der Neubukower Taufsteine

(Jörg Utpatel, 2009/2011/2021)

In der Neubukower Kirche steht ein großer, etwa 700 Jahre alter Taufstein. Pastor Gloede hatte ihn einst im Alt Kariner Gutspark entdeckt – dort war er zu einer Blumenschale umfunktioniert worden. 1950 holte man den Taufstein aus Alt Karin in die Neubukower Kirche. Das zu dieser Zeit dort vorhandene, beschädigte Exemplar aus billigem hellem Sandstein wurde entsorgt – es hatte nur ein kurzes Leben, denn mindestens bis in die 30er Jahre hinein befand sich eine andere „Taufe“ in der Kirche. In Sebastian Heißels Neubukow-Chronik findet sich unten abgebildetes Foto davon (im „Schlie“, S. 485, ist die Taufe auch zu sehen).

Taufstein in der Kirche um 1930
Taufstein in der Kirche um 1930

Wir lesen über diese „Taufe“ in der Chronik der Kirchgemeinde Neubukow aus der Feder von Pastor August Müller (Observanzbuch, S. 266): „Im Jahre 1859 wurde ein neuer Tauf-Apparat angeschafft: Ein gußeiserner reichbroncirter Taufstein mit Deckel wurde unter dem Arcus triumphalis (Triumphbogen) auf einen behauenen Felsstein gestellt und in demselben befestigt.“

Die hierfür ebenfalls 1859 angeschaffte Messing-Taufschale ist heute noch in Benutzung für unsere Taufen. Jedoch – vom „Tauf-Apparat“ selbst ist nur noch der Felssockel vorhanden – er liegt für alle sichtbar neben dem Kirchturm und zählt die Jahre.

Felssockel des Taufsteines
Felssockel des Taufsteines

Über den Verbleib des gusseisernen Aufsatzes ist in den kirchlichen Akten nichts vermerkt, wahrscheinlich weil es sich dabei um eine Art Massenprodukt aus dem 19. Jahrhundert handelt. Vermutlich aber ist er in der Biendorfer Kirche gelandet, denn dort steht in der Eingangshalle ein genau solches gusseisernes Exemplar ohne Sockel.

Nun erzählt uns der Chronist, August Müller, jedoch eine noch weitaus spannendere Geschichte. Als er 1853 sein Amt als Pastor in Neubukow übernahm, konnte er unter der Rubrik „Taufstein“ (S. 266) nur feststellen: „Thatsächlich war hier kein solcher vorhanden.“
Dies ist erklärlich durch die vor allem im 18./19. Jahrhundert übliche Form der Haustaufe – man brauchte schlichtweg keinen Taufstein in der Kirche!

Aber, so Müller weiter: „Nach einer mündlichen Tradition, die mir der verstorbene Senator Sengbusch (1781-1857) erzählte, ist früher ein Taufstein vorhanden gewesen: ein Felsblock mit eingehauener Schale … (Sengbusch) wußte nur, daß er lange auf dem Kirchhofe gelegen haben solle. Von dort habe ihn der damalige Kirchen-Provisor Rathsack weggenommen und zum Kellerfundamente seines neu erbaueten Hauses an der südöstlichen Ecke des Marktplatzes verwendet, wo er jetzt noch liege.“ Pastor Müller macht nun noch eine genaue Ortsangabe über das Haus, in dem er eingemauert sein soll: „Es ist das früher Senator Sengbuschsche, jetzt Negnalsche Haus gemeint.“ Familie Negnal hat das Haus nach Angaben der heutigen Erben etwa 1850 von dem Senator (+ 1857) übernommen – und es ist heute noch, in fünfter Generation im Besitz der Familie!

Und tatsächlich – hier befindet sich der verschwundene Stein heute immer noch! Mit freundlicher Genehmigung der Familie Negnal können wir hier das Fundstück aus alter Zeit dokumentieren: Der alte Taufstein ist tatsächlich vor etwa 200 Jahren im Kellerfundament ihres Hauses eingemauert worden und heute noch dort erhalten!

Taufstein im Kellerfundament
Taufstein im Kellerfundament

Bis wann dieser Taufstein in Neubukow in Gebrauch gewesen ist, weiß man natürlich nicht mehr. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat er jedoch – genau wie der heutige aus Alt Karin – nie in der Kirche gestanden! Diese Art der uralten Tauffünten aus der Wendenzeit standen immer VOR den Kirchen: Weil nur Getaufte die Kirche betreten durften, musste die Taufe draußen stattfinden. Erst im 20. Jahrhundert lernte man viele dieser „alten Zeugen“ wieder wertschätzen und holte sie (erstmals) in die Kirchen hinein, wie übrigens auch in Biendorf. (s. dazu: Paul Martin Romberg, Die frühromanischen Tauffünten der Wenden und Obotriten“, 2015, S. 18,21)

Müller schreibt außerdem in der Chronik, dass er sich durch die Notiz in einem alten Visitations-Protokoll bestätigt fühle, in der unter der Rubrik „Inventarium“ die Rede ist von einer „Taufe von Ertz mit einem hölzernen Deckel, und ein hölzern Gitter umher.“ Hierbei handelte es sich um einen unbekannten Taufstein, der vielleicht im Zuge der Kirchenrenovierung 1817 entfernt worden ist. Von dieser Renovierung wissen wir nur durch eine 2001 wiederentdeckte Inschrift über dem Chorraum der Kirche.

Bleibt eine für Neubukower spannende Frage – ist der alte im
Kellerfundament des Markthauses aufgefundene Taufstein möglicherweise derjenige, aus dem Heinrich Schliemann 1822 getauft worden ist? Dies ist schon allein deswegen unwahrscheinlich, weil zu dieser Zeit (wie oben erwähnt) vor allem Haustaufen üblich waren, zumal im tiefsten Winter. Zum anderen lag diese Fünte im Geburtsjahr des Trojaentdeckers vermutlich schon im Staub des Kirchenplatzes und harrte seines Schicksals als Teil eines Kellerfundaments – aber, wer weiß?

Fotos:
1. Chorraum der Neubukower Kirche mit eisernem Tauffünte (Mitte 19. Jhd.), Aufnahme ca. 1930; Quelle: Heißel, Neubukow
2. Taufsteinsockel am Neubukower Kirchturm; Foto: J. Utpatel 2009
3. gusseiserne Taufe in der Biendorfer Kirche; Foto: J.-D. Lagies, 2021
4. Tauffünte im Kellerfundament des „Negnalschen Hauses“, Neubukow, Am Markt 9; Foto: J. Utpatel 2009

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